Unlimitierter Urlaub:  Employer-Buzzword oder Lösung für den Fachkräftemangel?

Unlimitierter Urlaub:  Employer-Buzzword oder Lösung für den Fachkräftemangel?

Der Business Media Buzz der Woche wurde durch das österreichische Start up Bitpanda verursacht: groß waren die Headlines: BITPANDA GIBT MITARBEITER:INNEN UNBEGRENZTEN URLAUB.

Klassische Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Head of HRs und eigentlich sowieso jeder Mensch im Arbeitsmarkt ist irritiert, verwirrt und vor allem interessiert: Was hat es denn damit auf sich? Was genau bedeutet das? Und vor allem: Wie soll das denn gehen?

Woher kommt die Idee von unlimitiertem Urlaub?

Es mag revolutionär erscheinen, ganz neu ist es aber nicht. Unlimitierter Urlaub gehört zum 70ger Jahre Thema New Work und ist eine Variante von PTO. PTO steht für  “Paid time off” oder auch “Personal time off” - ein "neues" Fokusthema beim Thema New Work. Es gibt verschiedene Varianten von PTO - z.B. dass alle persönlichen Tage, also auch Krankenstand, Pflegeurlaub etc. zusammengezählt werden und als „Kontingent“ zur Verfügung stehen. Hier ist aber besonders der Kontext wichtig - nämlich der Kontext des Arbeitsmarktes, in dem eine PTO-Lösung angeboten wird. Es stellen sich nämlich die Fragen: "Was ist eigentlich erlaubt?" gekoppelt an "Was ist eigentlich sinnvoll?"

Kurze Entwarnung: der Trend ist nicht neu, nicht alle Unternehmen müssen sofort darauf umsatteln und vor allem: in Österreich ist das Thema eigentlich auch gar nicht so relevant…trotzdem: Es ist ein spannender Ansatz, den wir in den nächsten Jahren sicherlich immer öfter erleben werden.

Unlimitierter Urlaub - wie geht das denn?

„Unlimitierter Urlaub“ ist vor allem in Ländern mit geringem gesetzlichen Urlaub ein Thema. In den USA z.B. hat man erst nach 10 Jahren Anspruch auf 5 Wochen Urlaub - in Österreich ist das Standard! 

Sich - theoretisch - unlimitiert Urlaub nehmen zu können, ist sicherlich auf den ersten Blick ein mega Employer Benefit - aber in der Realität wird es für viele bei den 3-5 Wochen, die sie sich jetzt auch nehmen, bleiben. Work load, Teamdynamics und Erwartungen an sich selbst/vom Arbeitgeber sind hier wesentliche Faktoren. Auch Themen wie das Ansparen von Zeitkontingent oder am Jahresende geblockt auf Urlaub gehen oder in Krankenstand sind Neben-Effekte von PTO-Modellen, die es zu bedenken gilt. 

Die spannenden Fragen, die sich stellen sind vor allem Praktikabilität, Ressourcenplanung, ab wann hat man Anspruch, was passiert bei Kündigung, wie viel Urlaub ist dann eigentlich noch offen, wenn er "unlimitiert" ist, etc. - es ist ein wirklich innovativer Ansatz, der aber tatsächlich ganz schön viel Paperwork und Prozessarbeit bedeutet…

Kurz gesagt: nicht ganz so straight forward, aber sicherlich ein Trend to watch für HR und Employers!

Was bringt unlimitierter Urlaub?

Grundsätzlich: es ist ein Trend im Employer-Branding, der natürlich vor allem in Österreich noch unüblich ist und darum viel Aufmerksamkeit erregt. Arbeitgeber:innen werden dadurch sicherlich attraktiver, wenn es in einem Markt eine recht niedrige gesetzliche Urlaubsregelung gibt - und das ist in vielen nicht-EU-Ländern tatsächlich der Fall!

Längerfristig gedacht, zielt diese Regelung auf eine optimierte Work-Life Balance ab. Denkt man weiter, so wird bald klar: Das gerade in Österreich sehr beliebte “Urlaub ansparen” wird dadurch eliminiert. Mehr dazu im Beispiel:

Ein Beispiel für die Vor- und Nachteile von unlimitierten Urlaub

Als Beispiel: Mitarbeiterin A plant eine Weltreise. Diese Reise soll 6 Wochen dauern. Um diese Reise antreten zu können, spart sie sich ein Jahr lang eine Woche Urlaub auf und nimmt im Folgejahr ihren gesamten Jahresurlaub auf einmal. Die Traumreise ist gesichert. Als Negativfolge hat sie aber im Jahr 1 weniger Urlaub als vorgesehen und somit auch weniger Erholungszeit. Im Jahr darauf hat sie dann zwar einen langen und intensiven Urlaub, der aber in Bezug auf Energie-Reserven auch problematisch sein kann: Sie kann das ganze Jahr über nämlich keine weiteren Erholungstage nehmen. Auch Zwickeltage bleiben Arbeitstage, auch wenn das Unternehmen eigentlich keinen Bedarf hat, die Mitarbeiterin selbst aber eigentlich schon. Das wiederum hat einen negativen Impact auf Motivation und Leistungsfähigkeit. 

Die unlimitierte Urlaubsregelung erleichtert das Ganze: Der Jahresurlaub in beiden Jahren kann genommen werden, im Weltreise-Jahr wird zusätzlich zur Reise auch Urlaub zu Feiertagen und wenn notwendig genommen - somit entsteht weder ein energetisches Minus, noch muss das Unternehmen Rücklagen für den nicht aufgebrauchten Urlaub in Jahr 1 bilden. 

Was, wenn die Mitarbeiterin jedes Jahr so lange verreisen möchte?

Kein Problem - solange die Voraussetzungen stimmen. Und die sind eben durch die Erwartungshaltungen des Unternehmens an Leistung und Qualität bestimmt, wie auch durch die Entscheidung des Teams. Was uns zum nächsten, wichtigen Punkt bringt:

Wer entscheidet, wer wie viel Urlaub nehmen darf?

Hier ist die üblichste Variante: Es ist eine Teamentscheidung. Basierend auf verschiedenen Faktoren, wie z.B. Auslastung, saisonale Kapazitäten, Feiertagen etc. entscheidet jedes Team für sich, wer wann wie viel Urlaub neben kann. Oftmals wird dieses Prinzip auch jetzt schon beim “regulären” Urlaubsanspruch angewandt. Die Führungskraft schritt dabei nur ein, wenn es zu keiner Einigung kommt oder wenn eine Mindestbesetzung nicht mehr gegeben ist. Auch hier: wichtig ist es, Erwartungshaltungen vorab zu definieren, wie etwa: 

  • wie viele Mitarbeiter:innen on site sein sollen

  • wie viel erreichbar sein müssen, um den Basis-Betrieb aufrechterhalten zu können

  • was die Minimum-Besetzung plus Puffer für Krankheitsfälle, Unvorhergesehenes etc. 

Basierend auf diesen Regeln, die durchaus auch gemeinsam erstellt werden können, wird dann der jährliche Urlaub auf- und eingeteilt. 

Wie sollen Führungskräfte mit Anträgen auf unbegrenzte Freistellung und potenziellem Personalmangel umgehen?

Gar nicht - unlimitierter Urlaub basiert auf Vertrauen und Selbstorganisation. Das bedeutet - es werden keine Anträge gestellt, sondern die Teams entscheiden selbst, wer wann wie lange auf (Zusatz-)Urlaub gehen kann, ohne dass es dabei zu einer Qualitätsminderung oder einem Ressourcen-Engpass kommt. 

 

Woher weiß ich, dass Mitarbeiter die unbegrenzte Freizeit nicht missbrauchen?

Die Frage an sich bedeutet, dass Unternehmen eventuell noch nicht bereit sind für diesen Schritt. Vertrauen und Zutrauen sind Grundvoraussetzung, um dieses Modell einzuführen. Ja, tatsächlich - Vertrauen statt Kontrolle. 

Es gibt gewisse Vorsorge-Regelungen, die ein Unternehmen treffen kann, einerseits sind das auf jeden Fall klar gesetzte und messbare Erwartungshaltungen und transparente Kommunikation. KPIs können dazu verwendet werden, Qualitätsstandards zu garantieren. Beispiele für sinnvolle KPIs sind etwa Kundenzufriedenheit - solange sie nicht sinkt, ist alles im grünen Bereich. Ebenfalls wichtig natürlich Personal-KPIs - Ziel des Spiels ist nicht, mehr Personal einstellen zu müssen, damit dieselbe Arbeit erledigt werden kann. 

 

Welche Methode kann meine Organisation verwenden, um die verbrauchten Urlaubstage nachzuverfolgen?

Dokumentation ist notwendig, alleine schon aus arbeitsrechtlichen Gründen. (Hierzu bitte Arbeitsrechtler:innen kontaktieren). Relevant für das Unternehmen ist sie aber eigentlich nicht. Warum? Es geht nicht darum, wer wie viel gearbeitet hat, sondern ob die vereinbarte Leistung erbracht wurde. Sofern die festgelegten Standards, z.B. Kundenzufriedenheit, Personalkosten, Produktionskosten weiterhin erfüllt werden, ist die Frage nach der erbrachten Arbeitszeit von selbst beantwortet. 

Funktioniert die Selbstregelung von unlimitiertem Urlaub?

Das wird sich zeigen: Kickstarter z.B. ging zu der ursprünglichen Urlaubsregelung zurück. Warum? Ganz einfach: die Grundvoraussetzung für unlimitierten Urlaub bzw. die Möglichkeit auf Urlaub zu gehen war, dass sämtliche Arbeit erledigt sein muss. Das führte dazu, dass Mitarbeiter:innen weniger Urlaub - bis gar keinen - genommen haben. 

Meiner Einschätzung nach wird sich in Österreich nicht die Frage stellen: herkömmlicher Urlaub oder unlimitierter Urlaub. Die ÖGB hat sich bereits vor einiger Zeit dezidiert gegen ein “Unlimited Vacation” Modell ausgesprochen, da die Gefahr, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weniger Urlaub, als den derzeit gesetzlich vorgesehenen nehmen, relativ hoch einzuschätzen ist. Warum? Aufgrund von Leistungsdruck, Sorge um den Arbeitsplatz, dem Teamgefüge oder schlechter Kapazitätsplanungen ist es oft gar nicht anders möglich - siehe Kickstarter. 

Arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter während ihres “Zusatzurlaubes”?

Einfache Antwort: unlimitierter Urlaub ist nicht dasselbe wie Remote Work! Ermögliche ich meinem Team Remote Work, also eine flexible Arbeitsplatzwahl, so ist das zwar auch eine New Work-Regelung, die aber nicht gleichzusetzen mit unlimitiertem Urlaub ist - Urlaub ist Urlaub, sprich - keine Arbeit. Das gilt auch für (Zusatz-) Urlaubstage, die das Unternehmen auf freiwilliger Basis möglich macht. Das Eine schließt das andere aber nicht aus, sprich eine PTO-Regelung, die Remote Work und unlimitierten Urlaub ermöglicht ist nicht nur denkbar, sondern in vielen Fällen auch sinnvoll. Bitpanda macht es übrigens auch so - neben unlimitiertem Urlaub, gibt es geschlechterunabhängige bezahlte Karenzzeit von 20 Wochen und ein “work from anywhere” Angebot.

Ist unlimitierter Urlaub für jedes Unternehmen geeignet?

Wie bei allen New Work Modellen:  PTO bzw. unlimitierter Urlaub ist eine Frage der Unternehmenskultur.

Zentraler Punkt hierbei ist Vertrauen. Kontrolle darüber haben zu wollen, wer jetzt tatsächlich wie viel arbeitet, und zwar in Stunden statt in Leistung und Qualität ist ein Ansatz, der bei PTO nur scheitern kann.

Es braucht also Vertrauen als Führungskraft, als Unternehmen, um einen PTO-Ansatz - in diesem Fall unlimitierten Urlaub - im Unternehmen einzuführen. 

Natürlich gilt aber auch: unlimitierter Urlaub ist branchenabhängig - vor allem in infrastrukturell wichtigen Organisationen und Einrichtungen ist es vital, eine Grundbesetzung zu Gewährleistung der notwendigen Arbeitsschritte plus Ersatz-Ressourcen zu haben. Auch Fertigungsbetriebe, die Gastronomie, Hotellerie etc. werden für dieses Modell tendenziell eher weniger Einsatzmöglichkeiten sehen, primär sehe ich “Unlimited Vacation” also als ein white collar Thema, das stark von Unternehmenskultur, -struktur und -werten abhängig ist.  

Gilt die unbegrenzte Urlaubsregelung am ersten Arbeitstag oder wird sie nach einem Dienstjahr angeboten?

Wie viele Punkte bei der PTO-Regelung ist hier die Antwort einfach: Das definiert das Unternehmen für sich selbst. 

 

Darf einem Teammitglied zum Beispiel aufgrund schlechter Arbeitsleistung jemals unbegrenzter Urlaub verweigert werden?

Wenn man davon ausgeht, dass die Grundvoraussetzung für diesen Zusatzurlaub ist, dass ein gewisses Arbeitspensum erledigt werden muss und dieses Pensum nicht erledigt wurde bzw. nicht zu der vereinbarten Qualität, so sind die Grundvoraussetzungen nicht gegeben - und somit stellt sich die Frage nach der Möglichkeit von zusätzlichem Urlaub gar nicht mehr. Hier ist aber sicherlich die Entscheidung der Führungskraft und nicht die des Teams gefragt. 

Was sind die Grundvoraussetzungen für unlimitierten Urlaub (PTO)?

  1. Vertrauen - Vertrauen - Vertrauen

  2. Genaue Kapazitätsplanung

  3. Klare Kommunikation des Prozesses

  4. Transparente Kommunikation von Erwartungshaltungen

  5. Teamplay

  6. Selbstorganisation 

Gibt es Unternehmen, die jetzt schon unlimitierten Urlaub praktizieren?

Ja, primär in den USA bzw. in der internationalen Start-up-Szene, aber durchaus auch in  Österreich! 

Allen voran war hierbei Netflix. Die Vorreiter haben unlimitierten Urlaub in Selbstorganisation bereits vor vielen Jahren ermöglicht. Hier ist allerdings wichtig zu bemerken: Netflix operiert eben primär in Ländern, in denen es sehr wenig Jahresurlaub gibt bzw. der Jahresurlaub erst nach vielen Jahren auch nur ansatzweise so großzügig ausfällt, wie in Österreich (USA als Beispiel: hier braucht man 10 Jahre Betriebszugehörigkeit für 5 Wochen Urlaub).

Aber auch in Österreich gibt es Unternehmen, die diese Form des Employer Benefits praktizieren:

1000things, Objectbay und jetzt neu: Bitpanda gehören zu den Trendsettern unter den österreichischen Arbeitgebern. 

Wird unlimitierter Urlaub jetzt ein neuer Standard?

Gegenfragt: Was spricht eigentlich wirklich dagegen? Wenn die Leistung und Qualität stimmen? Die Zeit wird zeigen, wie stark sich der Trend durchsetzt, klar ist aber auf jeden Fall: Die Welt der Arbeit verändert sich und somit auch die Anforderungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Fachkräftemangel und Generationen-Clashes werden nur durch attraktive Arbeitsmodelle ausgleichbar sein. Und ganz klar ist: Wer das beste New Work Angebot hat, wird auch das beste Team haben. Ob das nun remote Work, unlimitierter Urlaub, die 4-Tage-Woche oder etwas anderes ist, wird von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter: Branche, Vorgaben des Arbeitsmarktes im jeweiligen Land, Unternehmenskultur und -struktur. 

So oder so: die klassischen Zusammenarbeits-Modelle werden nicht überleben, denn: THE FUTURE OF WORK IS CHANGE.

Nina Alice Bauregger ist langjährige Führungskraft, Beraterin, Coachin, Dozentin und spezialisiert sich auf Leadership-Themen, New Work, Change-Management und Diversität.

Ihr Karriereweg der letzten 25 Jahre hat sie rund um den Erdball, von Europa nach Indien, über Japan bis in die USA geführt, wo sie als Führungskraft für Global Player wie IKEA, SWAROVSKI, EF LANGUAGE TRAVEL und die ERSTE BANK gearbeitet hat.

Seit über 15 Jahren unterstützt sie Unternehmen, Führungskräfte, Teams und Einzelpersonen in ihrer Weiterentwicklung. 

Als Keynote Speakerin, Autorin und Dozentin ergänzt sie ihre Praxiserfahrung durch wissenschaftliche Arbeit.

Ihre Fokus-Themen sind: 

  • Leadership & Führung
  • Female Leadership
  • Virtuelle/Hybride Teams
  • New Work Implementierungen
  • Change Management
  • Diversität & DEIB-Strategie

Zu Ninas Kundinnen und Kunden zählen u.a. Zumtobel, Generali,  Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport MSG Plaut, ÖAMTC, Caritas Österreich, Privatsanatorium Hera, das  Moser Milani Ärzt:innen-Zentrum oder auch der SWV

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